
Hinab soll es also gehen, in die Keller des Turmes. Was dort unten wohl auf dich lauert? Fern von allem Licht? Was auch immer du unten in den Kellern gehört hast, ist nun verhallt. Doch du bist dir fast sicher, dass du dort ein Geräusch gehört hast. Vielleicht ein… Menschliches?
„Hier, das könnte uns helfen...“ Pharrell hat in einer Halterung an der Wand eine halb heruntergebrannte Fackel gefunden. „So werden wir wenigstens nicht völlig im Dunklen gelassen.“ Er lächelt dir aufmunternd zu.
Es kostet doch einige Zeit, sie zu entzünden, doch schließlich lässt das Licht gruselige Schatten auf den Wänden tanzen. Weit reicht der Schein nicht. Doch besser als völlig blind eurem Schicksal entgegenzustolpern. Sir Pharrell nimmt die Fackel und drängelt sich vor, bereit für was auch immer sie dort erwarten wird, bewaffnet mit dem Schwert folgst du ihr.
„Sollte uns in wenigen Minuten ein Drache verschlingen“, sagt Pharrell leise. „Wisse, die Reise war mir eine Ehre und Freude an deiner Seite.“
Du lächelst im Dunklen. „Mir ebenfalls, Sir Pharrell.“
Er lächelt in der Dunkelheit. „Du bist wahrlich ein Held. Mein Leben als Ritter für dich zu geben ist meine Pflicht. Doch längst empfinde ich es nicht mehr als solche. Für dich trete ich nun freien Willens ein. Denn selten traf ich jemanden von solcher Ehre und solchem Heldenmut wie dich.“
Du hältst an. Im Dunklen streckst den Arm nach ihm aus und er kommt dir entgegen. Ihr entbietet euch den ritterlichen Gruß, fasst dem jeweils anderen an den Unterarm, die höchste Geste, die nur Waffenbrüder einander entbieten.
„Ich hätte mir keinen besseren und ehrenvolleren Ritter an meiner Seite vorstellen können“, sagst du ernst. „Sir Pharrell, der Sonnige.“
In dem Schweigen zwischen den Mauern eines dunklen Turmes hörst du nur Pharrells Atem. Er nickt dir zu und ihr lasst einander los.
„Wir sollten die Prinzessin retten“, sagt Sir Pharrell schließlich. „Und diesen unmenschlichen Ort hinter uns lassen.“
Du nickst.
„Ja“, bestätigst du. „Das sollten wir.“
Du setzt mit Bedacht deine Schritte nach unten setzt. Die Stufen sind aus Stein, ausgetreten und dadurch rutschig. Doch auch eure Fackel wird nicht ewig halten. Du versuchst so eilig und doch so vorsichtig wie möglich zu gehen und konzentrierst dich auf den Weg vor dir. Die Treppe bohrt sich in die Erde und ihr dreht euch mit ihr. Stunden kommt es dir vor, steigt ihr hinab, auch wenn es in Wahrheit wohl doch nur einige Minuten sind. Beinahe hättest du übersehen, dass die Stufen enden. Du bist am Ende angekommen. Vor dir öffnet sich eine runde Tür, die weit offen steht. Das Schwert in der anderen Hand machst du einen mutigen Schritt nach vorne. Du blickst nach links und Sir Pharrell steht neben dir, die Fackel in der Hand. Ein Klirren ertönt. Ganz leise nur. Und dann ein Ächzen. Du hast es dir also doch nicht eingebildet! Jemand… oder etwas… ist hier unten.
Ihr schleicht durch die Tür. Immer bedacht darauf jede Sekunde einem riesigen Drachen zu begegnen. Unsinn, denkst du dir. Wie will er denn die Treppe heruntergekrochen sein? Es sei denn, es ist ein sehr langer und dünner Drache. Ein Lindwurm vielleicht? Nein, die Logik diktiert, dass du hier keinem Drachen begegnen wirst… aber vielleicht dafür einer gefangenen Prinzessin.
Sir Pharrell hebt die Fackel. Metall glänzt im Fackelschein. Ketten hängen von der hohen Decke herab. Große schwere Eisenketten. Pharrell bewegt den Arm. Es ist schwer auszumachen, doch es scheint, als wärt ihr wirklich in einer Art Kerker gelandet. Du glaubst, Gitterstäbe ausmachen zu können und mehrere großem Käfige, die im ganzen Raum verteilt sind. Die Fackel streift eine Feuerschale. Sollt ihr es wagen? Solltet ihr Licht riskieren? Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, oder? Pharrell setzt nach einem Nicken von dir die Fackel an die Feuerschale und entzündet sie. Licht flammt auf. Endlich.
Du hast Recht behalten. Dies hier ist der Kerker. Du zählst acht große Käfige, mit dicken langen Eisenstangen. Schweres Gerät hängt von der Decke. Da, plötzlich… eine Bewegung. In einem der Käfige.
Prinzessin Charity, schießt es dir durch den Kopf. Du eilst durch den Raum, Cadie neben dir. Doch die Vorsicht behältst du. Der Raum scheint leer zu sein. Doch jetzt erkennst du, dass auch in einem anderen Käfig Bewegung ist. Und in einem dritten. Du stockst mitten im Raum. Sind hier… mehrere Prinzessin gefangen? Hat der Drache nicht nur ein Mädchen geraubt?
Die Gestalt im Käfig direkt neben dir richtet sich auf. Du erkennst sie. Schon oft hast du ihr Gesicht bei Hofe gesehen. Schon oft an der Seite de Königs. Unter dem schütteren Bart hättest du es beinahe nicht erkannt. Du schnappst nach Luft und weichst zurück.
„Sir Liam“, flüsterst Pharrell. „Erster Ritter der königlichen Garde...“
Was hast du nicht schon alles von den Abenteuern von Sir Liam gehört! Von seinem Kampf mit dem Schattenpanther. Von seiner Queste im verwunschenen Wald. Der strahlende Sir Liam. Doch diese Gestalt in dem Käfig teilt sich nicht mehr viel mit Sir Liam. Du erkennt sie nur an der auffälligen Narbe an seiner Wange. Sonst ist von dem Strahlen nicht viel geblieben. Schmutzig ist er und er trägt nur eine ledernen Hose, kein Hemd. Das blonde Haar ist dunkler geworden. Der Blick aus seinen blauen Augen ist hoffnungslos.
„Sir Pharrell… Held von Aldcrest“, sagt er heiser. „So seid ihr also auch in die Falle getappt.“
„Falle?“, flüsterst Pharrell. „Welche Falle? Sir Liam, wer hat euch dies angetan? War es der Drache?“ Aber wie will der Drache die Treppe heruntergekommen sein? Ein Verdacht regt sich in dir. Irgendetwas stimmt hier nicht.
„Ihr hast nicht viel Zeit“, sagt Sir Liam müde. Seine Hände greifen um die Käfigstäbe. „Bald wird auch euch unser Schicksal ereilen.“
Deine Knöchel treten hervor, als du das Schwert fester greifst. „Nicht, wenn ich es verhindern kann.“
Sir Liam schüttelt den Kopf. „Wir alle konnten das Unaufhaltbare nicht stoppen. Erhebt euch, Brüder. Und teilt unsere traurige Geschichte.“
Ketten klirren. Gestalten in Käfigen wachsen in die Höhe. Hier sind sie als, die verlorenen Ritter. Sie erheben sich, alle nur leicht bekleidet, bärtig und schmutzig, mit Füßen und Händen an die Gitterstäbe gekettet.
„Ich bin Sir Liam“, spricht der geschlagene Ritter. „Ich war der erste. Liebe verband mich mit Prinzessin Charity. Mein Herz schlug in sanften Gefühlen für sie. Wenn meine Gedanken sie streiften, so trat ein Lächeln auf mein Gesicht. So war ich es, der loszog, um sie zu befreien, als der Drache sie raubte. Ich entkam den Räubern am Waldrand und ich löste das Rätsel des Brückentrolls. Ich kam in das Schloss und ich fand die Prinzessin oben im Turm und den Drachen schlafend neben ihr. Ich kam sie zu erlösen mit der wahren Liebe Kuss. Und mein Schicksal endete hier in diesem Keller.“
„Ich bin Sir John, der Bruder der Königin“, spricht ein junger Mann einen Käfig weiter und ihr fahrt herum. „Ich ward ausgesandt, die Prinzessin zu retten und auch ich entkam den Räubern und löste das Rätsel des garstigen Trolls. Ich betrat das Schloss und zog in den Kampf gegen den Drachen. Doch mein Fehler war, dass nicht die Liebe mich führte. Mein Herz ist bereits vergeben, auch wenn die Frau, die mein Herz beherrscht, nicht um darum weiß. So waren es Pflicht und Ehre, die mich leiteten, woraus ich kein Geheimnis machte. Und so wurde ich verdammt.“
„Ich bin Sir Angel“, spricht ein Mann hinter dir, dessen langes schwarzes Haar ihm auf den Rücken hängt. „Ich entkam den Räubern und mein Bruder ließ mich die Brücke überqueren. Mein Fehler war, dass ich die ritterlichen Ehren missachtete. Ich hielt nicht vor der Tür. Ich beugte nicht das Knie. Und ich bot nicht den Liebeskuss. Und so endete ich hier.“
„Ich bin Sir Heath“, spricht ein Jüngerer weiter hinten. „Ich war der Letzte und kam vor wenigen Wochen erst hier an. Ich entkam den Räubern und ich überquerte die Brücke des netten Herrn mit Haaren eines Prinzen würdig und Augen wie ein stürmischer Ozean. Ich kam an den Turm, doch mein Herz blieb an der Brücke zurück, auch wenn es unbeachtet blieb. So kam ich in die Kammer der Prinzessin und sie griff meinen Arm. Und es war nicht ihr eigener Name, den sie in meinen Gedanken sah. Und so teilte ich das Schicksal der anderen.“
„Aber wer...“, beginnst du. „Wer hat euch hier eingesperrt? Und wo ist die Prinzessin?“
„Verstehst du es noch immer nicht?“, fragt Sir Angel, die Brauen böse zusammengezogen. „Es ist alles Trug. Niemand hat die Prinzessin entführt als sie selbst. Sie ist es, die hier fernab von den Eltern ihr eigenes Regiment führt und uns alle zu ihren Freuden hier festhält.“
„Sie ist verrückt“, stimmt Sir Liam ernst zu. „Held von Aldcrest, die Prinzessin ist wahnsinnig. Sie wird dich oben im Turm erwarten und dort dein Schicksal besiegeln.“
„Sie hat Hexenkräfte“, sagt Sir John. „Berührt sie dich, so sieht sie in dein Innerstes. Sie wird den Kuss der wahren Liebe von dir fordern und mitten in dein Herz Einblick erhalten. Gibst du ihr den Kuss, erlangt sie Macht über dich und sie nimmt dir deine Kraft und sperrt dich ein. Verweigerst du ihn, so wird ihr schrecklicher Drache dich angreifen und dich überwältigen. So oder so endest du mit uns in ihren Verliesen.“
„Und hier harren wir aus zu ihrem Vergnügen allein“, flüstert Sir Heath. „Manchmal kommt sie herab und lässt uns tanzen oder ihr in Ketten Gesellschaft leisten. Sie gibt uns keine Kleider. Sie ist wahnsinnig und wir sind ihre Opfer.“
„Es gibt kein Entkommen“, bestätigt Sir Liam. „So fliehe also, so lange du es noch kannst. Trittst du ihr entgegen, wird sie dich vor die unmögliche Wahl stellen. Gib ihr den Kuss und all deine Kraft und Stärke ist ihre. Verweigere ihn und Drachenzähne werden nach dir schnappen. Zwei Brüder fielen dem Biss des Untiers bereits zum Opfer.“
In deinem Kopf dreht sich alles. Die Prinzessin… sie steckt also hinter allem. Sie ist verrückt geworden. Und vor dir steht eine unmögliche Wahl. Denn gegen sie antreten, das musst du. Du bist so weit gekommen, dass du jetzt nicht aufgeben wirst.
„Wo sind die Schlüssel?“, fragst du. „Die Schlüssel zu euren Ketten? Wie können wir euch befreien?“
„Ihr könnt es nicht“, erwidert Sir Liam ernst. „Prinzessin Charity trägt sie um den Hals, Tag wie Nacht. Für uns gibt es keine Hoffnung mehr.“
Du straffst dich.
„Nein“, sagst du. „Sprecht nicht derart, Sir Liam. Wir sind gekommen, die Prinzessin zu befreien, Doch es scheint, als müssten wir sie vor sich selbst erretten. Mein Auftrag steht. Und zu viel haben wir verloren. Ich werde ihr entgegen treten. Und ich werde euch, Ritter des Königs, aus eurer misslichen Lage befreien.“
„Du kannst uns nicht retten“, beharrt Liam. „Höre, Held. Ich gab ihr den Kuss in bester Absicht und sie stahl meine Kraft. Sir John verweigerte ihr den Kuss und der Drache griff ihn an. Sir Angel verweigerte den Kuss und auch er fiel ihrem Drachen zum Opfer. Sie stahl seine Kraft und sandte ihn kraftlos herab. Und Sir Heath gab ihr, was sie forderte und sie erkannte den Trug und ihr Drache griff an und sandte ihn hinab. Es gibt kein Entkommen vor ihr und ihrem Untier.“
„Es gibt immer einen Weg“, sagst du mit fester Stimme. „Es wird Zeit, dass die Prinzessin lernt, dass diese Art der Liebe nicht das Land beherrschen kann. Vertraut mit, ihr Ritter.“
Bedauernde Blicke folgen dir, als du mit Sir Pharrell an deiner Seite den Keller verlässt. Hoffnungslosigkeit fällt wie ein Schatten über dich herab und legt sich einem Umhang gleich um deine Schultern, als du dich zur Tür wendest und die Stufen erklimmst. Du schüttelst sie ab. Wie besiegt man eine unbesiegbare Prinzessin? Wie entkommt man der wahren Liebe Kuss? Viel Zeit bleibt dir nicht, um es herauszufinden.
Stumm steigt ihr den Turm hinauf. Ihr kommt zurück zum Weg nach draußen, doch ihr wendet euch weiter, die Stufen hinauf.
„Es ist eine unmöglich Wahl“, denkst du laut. „Wenn ich ihr den Kuss gebe, sind wir verloren. Gebe ich ihr keinen Kuss, so hetzt sie den Drachen auf uns.“
„Niemals hat sie es mit zwei Kämpfern aufgenommen“, sagt Sir Pharrell. „Lass uns dies zu unserem Vorteil nutzen.“
Gemeinsam nehmt ihr die Treppen nach oben. Eurem Schicksal entgegen.