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Endlose, endlose Stufen. Ein ewiger Kreisel, der sich in den Himmel schraubt. Nimmt es denn kein Ende? Du hast das Gefühl, dass ihr Stunden, Tage, Jahre den Aufstieg begehst. Ob die Nacht schon verstrichen ist? Ob euch Morgenlicht erwartet, wenn ihr endlich den höchsten Punkt des Turmes erreicht? Bisher blitzen dir nur die Sterne entgegen, wenn du aus einem der Fenster blickst, die an dir vorbeiziehen. All den Weg bist du gekommen, um eine Prinzessin zu retten. Nun bist du dabei, eine Prinzessin zu bekämpfen. Ja, sie vielleicht sogar zu töten. Wie sehr sich das Schicksal doch irren kann.

Auf dem langen Weg nach oben, haben du und Ishan einen Plan gefasst. Er steht auf wackeligen Beinen, so viel ist klar. Doch immerhin ist es besser, als keiner.

Wenn ihr oben angekommen seid, wirst du die Prinzessin ablenken. Ishan wird sich um sie herumschleichen und sie überwältigen. Wenn der Drache angreift, so wird Ishan die Prinzessin in Schach halten und du das Untier. Wahrlich… ein sehr schwacher Plan.

 

Endlich öffnet sich vor euch eine Kammer. Die Treppen schrauben sich noch weiter in die Höhe, doch dort wird euch nur das Dach des Turmes erwarten. Das Schwert wiegt schwer in deiner Hand. Doch du straffst dich. Die finale Prüfung wartet auf dich.

Was du für eine Kammer gehalten hast, ist tatsächlich eine große Halle. Ein Bett steht hier mit flatternden Vorhängen in einem Luftzug. Ein Teppich, an dem die Motten fressen. Ein großer Spiegel. Du lässt die Fackel sinken, denn du benötigst sie nicht mehr. Feuerschalen brennen nahe der Wände und hüllen alles in ein unheimliches und magisches Licht. Du richtest dein Schwert in den Raum. Irgendwo von links ertönt ein urzeitliches Knurren. Der Drache. Es muss der Drache sein. Du straffst dich. Ishan neben dir zieht scharf die Luft ein. Klar wie eine Lerche hallt eine Stimme durch den Raum. Gesang so betörend wie eine Sommerliebe schwingt sich in die Luft. Ihr verharrt beide und lauscht.

 

„Rosenrot, weiß wie Schnee
Königin von Wald und Klee
Mein Herz hab' ich dir anvertraut
Rosenrot, so werde meine Braut.“

 

Niemals im Leben hast du etwas Schöneres gehört. Und dein Herz gerät ins Wanken. Kann es wirklich sein? Kann die Besitzerin jener Stimme wirklich die schrecklichen Taten begangen haben, die im Keller versteckt sind? Du machst einen Schritt nach vorne und jetzt siehst du sie auch. Dort sitzt sie am Fenster vor der Silhouette des silbernen Mondes. Eine junge Frau von atemberaubender Schönheit. Lange blonde Locken fallen ihr über die nackten Schultern. Ein weißes Kleid fällt an ihr herab. Sie hat die Arme um die Knie geschlungen und blickt mit traurigem Blick nach draußen in die Landschaft.

 

„Wo das Lied des Schwarzdorn singt
Und der Raben Weise klingt
Wasser durch die Moore geh'n
Zwei Schwestern sich im Tanze dreh'n.“

 

All deine Pläne sind vergessen. Wie könntest du ein solches Wesen angreifen? Das Schwert in deiner Hand senkt sich. Die Schwertspitze klirrt leise, als sie den Boden berührt. Die Prinzessin am Fenster bricht mitten im Gesang ab. Sie dreht sich herum und sieht dich mit großen grünen Augen voller Unschuld an.

„Wer seid ihr?“, flüstert sie und blickt euch beide an. „Seid ihr Ritter, gekommen mich zu retten?“

Du schweigst. Doch dann nickst du langsam. Ishan berührt sachte deinen Arm.

„Ja“, gibst du der Prinzessin schließlich heiser zur Antwort. „Ja, das bin ich. Prinzessin, wir sind hier um euch nach Hause zu bringen.“

Sie rutscht vom Fenstersims herunter. Barfuß tritt sie auf den Stein. Das Kleid fällt an ihr herab wie Wasser.

„Ich habe so lange gewartet“, sagt sie leise. „So lange...“ Ein heller Arm streckt sich aus. Du kommst näher. Ob Ishan eurem Plan folgt? Noch immer klammert sich deine Hand um das Schwert.

Was, wenn du dich irrst? Wenn die Ritter im Kerker sich irren? Und was, wenn es deine letzte Chance ist?

„Wo ist der Drache, Prinzessin?“, fragst du. Sie dreht den Kopf leicht nach links.

„Er schläft dort hinter dem Bett.“

Jetzt kannst du im Dämmerlicht tatsächlich eine Gestalt dort ausmachen. Wenn du die Augen zusammenkneifst, kannst du ihn sehen: Ein großer Echsenkörper voller Schuppen, halb verborgen von den Schatten.

„Prinzessin...“, sagst du und blickst auf ihre Hand. Was hat Liam gesagt? Berührst du sie, so sieht sie in dein Herz.

„Nimm meine Hand“, flüstert die Prinzessin. „Und führe mich aus diesem schrecklichen Turm.“

„Prinzessin“, beginnst du erneut. „Prinzessin… meine Füße führten mich in deine Keller. Und ich sah, was dort verborgen war.“

Die grünen Augen weiten sich. Tränen laufen über ihre Wange.

„Es ist der Fluch“, wispert sie. „Es ist ein schrecklicher Fluch, der über mich gesprochen wurde. Nur der wahren Liebe Kuss kann mich erlösen. Doch keiner von denen, die kamen, um mich zu retten, war für mich bestimmt. Beende mein Leid und erlöse mich. Küss mich, Held von Aldcrest, und rette uns alle.“

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Diese Tränen sind echt. Nichts hat größere Macht als der Kuss der wahren Liebe. Wenn wirklich ein Fluch sie an den Turm fesselt, so kannst du sie erlösen. Küss sie und erlöse die Prinzessin.

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Das ist ein Trick. Hallo? Du bist doch nicht dämlich. Auf Unschuldsaugen fällst du nicht herein. Verweigere den Kuss und gib Ishan Zeit, sie zu überrumpeln.

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