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„Ich teile mir gerne den Raum mit dir, Evelyn“, sagst du. Ein freudiges Lächeln huscht über ihr Gesicht.

„Es ist mir eine Freude“, sagt sie mit einem Necken.

Ishan scheint auch nicht unglücklich über sein Einzelzimmer. Du nimmst mit Evelyn eine Treppe nach oben und findest dort einen kleinen Raum wieder. Du hast ein Zimmer mit zwei Betten erwartet. Der Raum vor dir hat nur eines. Ein Großes. Du blickst erst entsetzt auf das Bett, dann zu Evelyn, die frech grinst.

„Willst du es dir noch anders überlegen?“

Du schüttelst schnell den Kopf. „Nein, nein, schon gut. Wenn es für dich auch in Ordnung ist… Willst du die rechte oder die linke Bettseite?“

 

Du machst dich fertig für das Bett, was eigentlich nur bedeutet, dass du alibiweise die Waschschale benutzt und dir die Hosen ausziehst. Nur in Hemd und mittelalterlichen Unterbuxen lässt du dich ins Bett fallen mit dem Kopf direkt in die Kissen. Dir tut alles weh. Wessen blöde Idee war es nochmal, auf Pferden zu reiten? Wieso nicht eine Kutsche? Eine Kutsche wäre wirklich toll gewesen. Du ziehst dir die Decke über und hörst Evelyn mit dem Wasser pritscheln. Schließlich kommt sie zu dir herüber und du hebst ein Augenlid. Meine Güte! Du wusstest ja, dass Evelyn eine hübsche Frau ist. Aber jetzt, nur im Nachthemd, musst du doch schlucken. Schnell schließt du das Auge wieder und hoffst, dass sie es nicht gemerkt hat. Als sie sich ebenfalls auf das Bett fallen lässt, wackelt das Gestell und deine gespannten Muskeln bemerken das. Du ächzt und Evelyn lacht auf.

„Ist es so schlimm?“

„Ich hasse Pferde“, murmelst du.

„Du bist nur aus der Übung“, spottet sie. Mit einem Mal ist ihr warmer Atem an deinem Ohr und ihre Hand streicht mitleidig über deinen Kopf. „Ich kann dir Lied singen, wenn du möchtest? Es hilft dir beim Entspannen und Einschlafen. Du wirst sehen, morgen fühlst du dich wie neu.“

„Ein Lied?“, murmeltest du. Ihre Hand streicht weiter sachte über deinen Kopf.

„Wenn du möchtest?“

Du nickst vorsichtig. Warum nicht…

 

Klar und hell erhebt sich Evelyns Stimme in den Raum. Sachte und sanft wie ein Seidentuch, leicht wie eine Vogelfeder schweben die Klänge der Musik durch die Luft. Nie hast du etwas Schöneres gehört. Du weißt nicht einmal, wovon ihr Lied handelt. Was sie da singt… vielleicht von einer Quelle im immergrünen Wald? Vom Sonnenlicht auf Libellenflügeln? Von einer Welt, anderswo, wo keine Drachen herrschen, keine Könige… wo jeder frei ist zu tun, wonach es ihm beliebt, zu lieben, wen er mag, zu sein, was er will, solange er nur keinem anderen damit schadet? Und vielleicht sind es nicht einmal wirklich Worte. Vielleicht ist es nur ein Gefühl, ein Ziehen tief in deinem Herzen. Ein Ruf, der dich ins Reich der Träume leitet.

 

Als du am nächsten Morgen erwachst, ist Evelyn bereits verschwunden. Sie hat dich schlafen gelassen und als du probeweise einen Fuß aus dem Bett streckst, stellst du fest, dass ihre Lieder geholfen haben. Noch immer schmerzen deine Muskeln, doch du fühlst dich seltsam frei und beschwingt. Fast so, als sei ihre Stimme magisch gewesen.

 

Du genießt ein ruhiges Frühstück für dich. Evelyn und Ishan warten auf dich bei den Pferden. Sie sind wohl schon länger auf und haben bereits gesattelt.

„Wollen wir weiter?“, fragt Evelyn und du nickst.

Die Reise kann weitergehen.

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